Bei mixvision erscheint im März die deutsche Erstausgabe eines Science Fiction-Romanes, der in einer Welt spielt, in der Homosexuelle (wieder) gezwungen sind, rosa Winkel zu tragen und in Ghettos zu leben. Wie nahe dieser "Zukunftsentwurf" bereits an der heutigen Realtität ist, in der sich Übergriffe gegen "Andere" stetig mehren, zeigen auch die beun- ruhigenden Meldungen aus Rußland: Die russische Zeitung "Novaya Gazeta" hat ihre Vorwürfe gegen die Führung der teilautonomen Republik Tschetschenien am Montag ausge- weitet. Der Zeitung liegen demnach Hinweise auf ganze sechs Geheimgefängnisse vor, in die teils seit Jahren Personen verschleppt werden, darunter (...) zuletzt auch Männer, die der Homosexualität verdächtigt werden. (...) Während die Zeitung allein die Zahl der zwischenzeitlich oder weiterhin inhaftierten Schwulen auf über 100 schätzt, lägen ihr Beweise zur "mon- strösen Folter" von über zehn Menschen in den Gefängnissen vor. Die Zeugenberichte über die illegalen Verschleppungen, über Folter und erniedrigende Behandlungen stimmten bis in kleinste Details überein, auch wenn sich nur zwei Personen persönlich kennen würden, so die "Novaya Gazeta". Erneut berichtet die Zeitung von einer inoffiziellen Rangordnung: "Sicherheitskräfte zwangen angebliche Drogensüchte, die an- geblichen Schwulen zu schlagen; sie zwangen die Schwulen, sich gegenseitig zu verprügeln." (Quelle: queer.de 2017)
Gabrielle ist fast dreizehn Jahre alt. Im Alter von sechs Monaten wurde das aus Somalien stammende Mädchen von einem homosexuellen Paar adoptiert. George und Phil, ihre Väter, sind seit 15 Jahren verheiratet.
Doch nun wurde ein Gesetz erlassen, das sie zu Ausge- stoßenen macht. Sie müssen eine rosa Raute als Kenn- zeichnung tragen, in einem Ghetto am Stadtrand wohnen und verlieren das Recht, ihren Beruf auszuüben (die beiden sind Künstler). In der Stadt dürfen sie sich ohne Genehmigung nicht mehr bewegen.
Um ein Geschenk zu Gabrielles Geburtstag zu finden, riskieren sie alles und fahren ohne Erlaubnis in die Stadt. Doch nachdem sie einen Autounfall gebaut haben und dadurch die Aufmerk- samkeit vermeintlich rechtschaffener Bürger auf sich gelenkt haben, können sie niemandem mehr vertrauen.
Wie sollen sie Gabrielle warnen, die Zuhause geblieben ist? Wie können sie ihre Verfolger abschütteln? Und wohin sollen sie flüchten?
Mit Väterland entwirft Christophe Léon eine Zukunft, die von Intoleranz, Gewalt und Angst bestimmt ist. Eine Zukunft, die uns zurückwirft in eine gar nicht so ferne Vergangenheit ...
Aus dem Französischen übersetzt von Rosemarie Griebel-Kruip.
Deutsche Originalausgabe
Paperback mit Klappenumschlag
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mixtvision Paperback ca. 110
Seiten ISBN 3-95854-095-3
Preis: 9,90 € (D) 10,20 € (A) 14,90 SFr (CH)
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Unsere
Meinung:
Es gibt Bücher, da wünschten wir uns, daß es nicht so notwendig und wichtig wäre, sie zu schreiben. Dies ist eines davon, ein ebenso kurzes wie beängstigendes Buch, in dem sich die französische Gesellschaft durch den Wahlsieg einer ungenannten Partei mit Recht und Gesetz gegen die Minderheiten in der Gesellschaft wendet. Dabei ist die Welt im Rückblick so wie sie sein sollte. Für die kleine Familie um Gabrielle ist es normal, daß ein somalisches Mädchen in Frankreich mit zwei Vätern zusammenlebt. Der Autor und die erzählende Gabrielle finden dies ganz normal und das ist auch gut so. Leider empfinden nicht alle Menschen in der französischen Gesellschaft dieses Buches so und das Unheil nimmt seinen Lauf. Auch wenn die Geschichte sich vor allem auf die verpartnerten Eltern des adoptierten somalischen Mädchens konzentriert, das die Geschehnisse aus seiner Perspektive erzählt, gehen Haß und Ausgrenzung gegenüber allen, die anders sind, deutlich tiefer. Daß die Kriminalisierung und Entrechtung der Homosexuellen nur der Anfang ist, wird in diesem Buch durch die Beschimpfung der Tochter in der Schule als Negerin, die in ihr Land zurückgehen soll, und die Erwähnung von Übergriffen auf ausländische Ladenbesitzer im Wohnviertel angedeutet. Die Hauptgeschichte von der schleichenden Ausgrenzung und Entrechtung wird in zwei nebeneinanderherlaufenden Handlungssträngen erzählt. Der eine ist in der Vergangenheitsform gehalten und in ihm schildert Gabrielle, wie sie die schrittweise Entwicklung bis zur Einpferchung ihrer Regenbogenfamilie samt Berufsverbot für ihre beiden Vätern erlebt hat. Hier wird auch der Vergleich zu einem Frosch eingebracht, der in heißes Wasser geworfen, sofort die Flucht ergreift, sich bei langsamer Erwärmung des Wassers aber keiner Gefahr bewußt wird, bis er im kochenden Wasser den Tod findet. Der zweite Handlungsstrang ist die in der Gegenwartsform erzählte Rahmengeschichte, in der die beiden Väter zu Beginn des Buches mit ihrem Auto an einer Hauswand enden und auf ihrem Weg begleitet werden, der sie durch den modernen Überwachungsstaat führt, umgeben von "aufrechten und gesetzestreuen Bürgern", die umgehend eine extra zu diesem Zweck eingerichtete Denunziations-Nummer wählen und deren angewiderte Aussagen über die Begegnung mit den Flüchtigen in die Erzählung eingebunden werden. Aber glücklicherweise gibt es auch in dieser Welt der traditionellen Werte noch Menschen mit Zivilcourage. In Gabrielles Rückblicken waren es zunächst die Hotels, die für das Siegel "Traditionelles Familienhotel" keine Nicht-traditionellen Familien mehr aufnahmen, dann durfte sie nicht länger zu ihrer besten Freundin, denn der hatte ihre Mutter den Umgang mit Gabrielle verboten. Die Werke ihrer Künstler-Väter wurden aus der Galerie verbannt, denn sie waren plötzlich entartete Kunst. Kino- und Restaurantbesuche gehörten auch bald der Vergangenheit an, denn das ganze Viertel trug jetzt das Siegel "Traditionelle Familie" und schließlich wurden die verpartnerten Väter gesetzlich verpflichtet, sich durch das Tragen von rosa Rauten kenntlich zu machen (natürlich nur zu ihrem eigenen Schutz, damit die Behörden sie vor Übergriffen schützen konnten). Und schließlich folgte die Einpferchung in das Ghetto, das allerdings nicht KZ genannt werden durfte, sondern "Auffangzentrum zur familiären Prophylaxe". Das Buch ist durch die Augen der elfjährigen Gebrielle gesehen und mit ihren Worten gut lesbar und spannend geschrieben und kann daher auch jüngeren Lesern zeigen, wohin Haß und Intoleranz führen können, wenn man sich ihnen nicht entgegenstellt. Die Rahmengeschichte endet uns allerdings etwas zu plötzlich und ohne wirklichen Abschluß, was uns als Leser mit vielen offenen Fragen zurückläßt und uns das Buch etwas verleidet hat. Ingesamt ist dies eine Geschichte, die gerade deshalb so beängstigend ist, weil sie so nahe an der Wirklichkeit geschrieben wurde. Eine Wirklichkeit, in der Übergriffe gegen viele, die anders sind, wieder an der Tagesordnung sind, in der in acht Ländern Homosexualität mit dem Tode und in vielen weiteren Staaten auf andere Weise bestraft wird und in Russland "Homopropaganda" gesetzlich verboten, dafür aber häusliche Gewalt kürzlich per Gesetz ausdrücklich straffrei gestellt wurde. Wie es Papa George etwas direkter in diesem Buch formuliert: "Heute sehen wir, wie sich die Geschichte wiederholt und keiner rührt einen Finger." Für uns ein lesenswertes Buch und auf jeden Fall ein Tip.
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