Barbara Vine:
Der schwarze Falter
(Diogenes Hardcover: Februar 1999, Original: GB, 1998,
Originaltitel: The Chimney Sweeper's Boy)
Vor einiger Zeit haben wir bereits "Keine
Nacht Dir zu lang" in der Bücherbar vorgestellt. Hier kommt
ein weiterer Roman, den Ruth Rendell unter dem Pseudonym
Barbara Vine geschrieben hat.
Gerald Candless ist Schriftsteller - und wenige Seiten nach dem
Beginn des Romans ein toter Schriftsteller. Und dennoch ist er
die Hauptperson in diesem Buch. Wie er es zuvor in den Leben
seiner näheren Umgebung gewesen war.
"Mag sein, daß die Sanftmütigen das Erdreich
besitzen werden, aber behalten werden sie es nicht
lange."
Sätze wie dieser sind das Vermächtnis der Hauptperson dieses
"Familienromans", in dem es eigentlich keine Familie gibt.
Sätze wie diesen sollte der Leser keinesfalls übersehen, denn
sie stehen nicht zufällig oder überflüssigerweise über jedem
Kapitel dieses Buches - und bilden zudem auch eine kursiv
gedruckte, ganzseitige Einleitung, die ausnahmesweise einmal
nicht überblättert werden sollte.
"Kein Wort darüber zu meinen Mädchen" verlangt er zu Beginn des
Buches von seiner Frau, der Mutter seiner beiden Töchter,
"seiner Mädchen", als er für einen "gößeren Eingriff" ins
Krankenhaus muß. Damit nimmt das Drama dieser Geschichte seinen
Lauf. Denn wenig später stirbt er im Alter von 71 Jahren an den
Folgen einer Herzattacke
"Das ist Ihr Leben, Gerald Candless ..."
Gerald Candless war so, wie jeder Schriftsteller gern sein
möchte: Er sah gut aus, hatte Erfolg, eine aufopferungsvolle
Ehefrau, zwei ihn vergötternde Töchter und ein schönes Haus mit
Meerblick an der Küste von Devonshire.
Aber ist das alles Wahrheit oder nur schöner Schein? Nach seinem
Tode beginnt sich seine Frau zu fragen, was eigentlich bislang
ihr Leben gewesen ist - und wie es jetzt weitergehen
soll. Auf jeden Fall nicht so wie bisher! Irgendwie bietet sie
nicht das Bild einer erschütterten trauernden Witwe eines
geliebten Menschen.
Gleichzeitig wird eine der Töchter vom Verleger ihres Vaters
beauftragt, eine Biografie nach dem Motto "Eine Tochter schreibt
über das Leben ihres berühmten Vaters" zu schreiben. Nach
anfänglichem Zögern macht sie sich an die Arbeit - und stößt
dabei auf Hinweise, daß es da einen ganz anderen Menschen
gegeben hat, als den, den sie all die Jahre als ihren Vater zu
kennen geglaubt hatte.
Je tiefer sie gräbt, mit je mehr Menschen sie spricht, je mehr
sie erfährt, umso mehr neue Fragen tauchen auf - Fragen, deren
Antworten, das wird ihr ziemlich rasch klar - ihr nicht gefallen
werden. Welche Bedeutung hat beispielsweise der schwarze Falter,
der jedes Cover seiner Bücher ziert? Und was hatte ihr Vater mit
einem lang zurückliegenden Mord in Highbury zu tun?
Soll sie trotzdem weitermachen? Hat sie die Kraft dazu? Und kann
sie die Wahrheit ihrer Schwester und ihrer Mutter zumuten?
Eine wirklich spannend geschriebene Geschichte ohne sezierend
ausgearbeitete blut- und gedärmtriefende Gewaltszenen. Stück für
Stück erhält der Leser neue Mosaik-Stückchen aus der
Vergangenheit des Gerald Candless und setzt so gemeinsam mit
den Personen des Buches das komplettierte Bild vom Leben des
Gerald Candless zusammen.
tn
Barbara Vine:
Der schwarze Falter
Diogenes Hardcover
ca. 550 Seiten
23,45 ECU
ISBN 3-257-06207-9
* Ecu: HFL/DM = ECU x2, BEF = ECU x 40, öS:
x15,6, sfr: x1,8