Poul Anderson:
Die Chroniken der Zeitpatrouille
(Heyne Juni 1997, Originaltitel: The Time Patrol, USA, 1991)
Wann immer sogenannte "Experten" oder "führende Wissenschaftler" oder ehrlicher einfach "die Industrie" ein neues Feld betreten, auf dem sie unser Leben wieder einmal verändern wollen (wie es heutzutage beinahe keine Lebensmittel ohne Zusatzstoffe, kein Wasser ohne Öl und keine Luft ohne irgendwelche Schadstoffe mehr gibt und nicht wenige vermuten, daß auch das Aids-Virus ein fehlgeschlagener (?) Versuch aus den internationalen Giftküchen ist), fragt sich der besorgte Zeitgenosse, wer den Herren der Industrie auf die gierigen Finger schaut um das Schlimmste zu verhindern. Oder wer verhindert, daß Wissen und Techniken in falsche Hände geraten. Und gibt sich gleich auch die passende Antwort: Niemand. (Offiziell: Selbstkontrollorgane der Wirtschaft und Wissenschaft)
Aber mit dem Wort Zeitgenosse habe ich schon - neben der Gentechnologie - einen Bereich angerissen, dessen Manipulation unübersehbare Folgen haben kann: die Zeit. Zeitreisen und Zeitmanipulation haben die Menschen schon immer fasziniert - aus dem einen oder anderen Grund. Was aber, wenn es tatsächlich möglich werden sollte, in die Vergangenheit zu reisen und dieselbe zu verändern? Wenn Geschichte auf einmal nur noch eine willkürliche Sammlung von Geschichten ist? Leben wir dann plötzlich in einer Welt, in der die deutschen Nazis schließlich doch "die ganze Welt" in ihren Griff bekommen haben, ohne uns weiter darüber zu wundern, weil das ja schließlich schon immer so war?
Und beim Thema Geschichten um die Geschichte sind wir auch schon - völlig elegant und überraschend, gelle - beim heutigen Tip. Eine der bekanntesten Reihen zum Thema Zeitreise ist die "Zeitpatrouille" von Poul Anderson. Für alle Freunde dieser Reihe (und solche, die es werden wollen) findet sich bei Heyne ein Sammelband dieser Geschichten unter dem Titel "Die Chroniken der Zeitpatrouille". Beginnend mit der "Anwerbung" Manse Everards und der Erklärung, wer und was (und wozu) die Zeitpatrouille eigentlich ist, (und wer dahinter steht und die zeitlichen Fäden in der Hand hält) erlebt der Leser Everards Einsätze (und die anderer Zeitpolizisten) mit, deren oberstes Ziel die Aufrechterhaltung der ursprünglichen Zeitlinie ist. Jede Änderung an "Knotenpunkten" der Weltgeschichte könnte diese Linie verschieben und die Gegenwart völlig verändern. Es gibt also immer die Gegenwart, wie sie ist - und wie sie sein könnte ... Und es gibt immer "interessierte Kreise" aus Vergangenheit und Zukunft, die an einer Änderung dieser Linie interessiert sind.
In diesem Band sind neun Zeitpatrouille-Geschichten zusammengefasst - lediglich eine ist etwas langatmig geraten und fordert einiges an Ausdauer vom Leser. Die Geschichten spielen vornehmlich in der Germanen- und Römerzeit, teilweise bei den Briten (nein, Asterix kommt nicht vor!).
Ingesamt ein interessanter Blick auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und auf jeden Fall spannende Unterhaltung - besonders, wenn mensch sich ein wenig in der Vergangenheit "unserer" Zeitlinie auskennt. (Wenn nicht, könnte dieses Buch den einen oder die andere vielleicht sogar dazu reizen, in einem Geschichtsbuch nachzulesen, wie die von Poul Anderson beschriebenen Vergangenheiten in unseren Aufzeichnungen überliefert wurden.)
Natürlich gibt es hier and da auch das übliche Geballere, aber in erster Linie sind es die Irrungen und Wirrungen der möglichen Zeitlinien, die Gefahren, die von Zeit-Paradoxa ausgehen - und natürlich zu verhindern sind - , die im Mittelpunkt der Geschichten stehen. Und natürlich menschliches und allzumenschliches. Wie sagt der gebüldete Zeitgenosse doch so richtig: Zeit ist relativ.
tn
Poul Anderson:
Die Chroniken der Zeitpatrouille
Heyne Taschenbuch
ca. 860 Seiten
9,95 EUR
ISBN 3-453-11946-0
* Ecu: HFL/DM = ECU x2, BEF = ECU x 40, öS:
x15,6, sfr: x1,8