Ingrid Noll:
Röslein rot
(August 1998; Originalausgabe)
Dies ist die Geschchte von Annerose, oder kurz: Anne. Selbige kämpft sich Tag für Tag durch den alltäglichen Hausfrauenstreß, wie man ihn mit zwei Kindern und einem freiberuflichen Ehemann eben so hat.
Also alles paletti? Naja, daß sie vor Ehe- und Mutterglück platzt, kann Anne nicht gerade behaupten. Ihre gute Meinung von ihrem Ehemann ist im Laufe der Jahre schwer abgebröckelt, und so kann sie ihm seine Methode, mit einer erst heimlichen, dann unheimlichen Anbeterin fertigzuwerden, nicht verzeihen. Das labile Gleichgewicht einer So-lala-Ehe gerät ins Wanken, und gleichzeitig werden auch die freundschaftlichen Beziehungen zu ihren langjährigen Freundinnen Silvia und Lucie brüchig.
Glücklicherweise taucht plötzlich und unerwartet Annes Halbschwester Ellen auf, zu sie nie Kontakt hatte, da ihr Vater und ihre Mutter - ihres Zeichens Ehefrau Nummer 2 - keinen Kontakt mehr zu der Familie der geschiedenen Ehefrau Nummer 1 suchten.
Durch Ellen bekommt Anne ein wenig Abstand zu den Ereignissen um sie herum und so folgt sie denn auch ihrem Vorschlag, sich mit Stilleben zu beschäftigen. Sie studiert die Kunstwerke alter Meister - nicht von ungefähr ist das Buch in zwanzig von verschiedenen Stilleben inspirierte Kapitel eingeteilt. (Die zugehörigen Bilder, sind übrigens in einem Faltblatt ("Galerie der Stilleben") zu sehen, das dem Buch beiliegt.) Und schließlich beginnt sie, selbst zu malen - Stilleben versteht sich.
Dank dieser und anderer Unterstützung gelingt es ihr, die richtigen Schlüsse zu ziehen, als Udo eines Tages tot im Bett liegt, und den Lauf der Dinge zu ihrem Vorteil zu beeinflussen.
Annes Geschichte ist ein glänzend-fies erzähltes Beispiel von menschlichem Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander, das jedem so oder ähnlich passieren kann . Bosheit scheint der zweite Vorname der Autorin Inge Noll zu sein, und vor allem diejenigen Leser(innen) kommen voll auf ihre Kosten, die Geschichten von zu kurz gekommenen, also ganz normalen Frauen lieben, die sich ihr Stückchen Lebensglück auf listige Weise doch noch ertrotzen - und sei es durch einen geschickt vertuschten Mord.
Darüber hinaus ist dieses Buch noch eine Ode an eine beinahe vergessene Kunst: die Bildung des Genitivs (neudeutsch: von dem Genitiv). Dieses sprachlichen Gefüges, das an sich schon auf der roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten steht, nimmt sich Inge Noll besonders liebevoll an. Die Bücherbar-Redaktion dankt.