Der Kleine Diktator
Die Illustration auf dem Umschlag - ein dichter Wald aus Bambus- oder Schilf-Stangen - sagt es dem aufmerksamen Beobachter schon von vornherein: Macno ist wirklich ein seltsames Gewächs. Macno ist nämlich ein Diktator. Diktatoren sind ja nun sowieso seltsame Gewächse, das weiß man spätestens seit der ersten Niederlage in der Grundschule, als das Fräulein Lehrerin mit erhobener Stimme und ebensolchem Zeigefinger anhub zu sprechen: "Und nun nehmen wir unser Heft und schreiben...", was dann für den hoffnungsvollen Frischling auf der Schulbank oft böse endete.
Die Diktatoren, von denen man später hörte, hielten und halten sich brav an das Schema. Sie erheben den Zeigefinger und diktieren, und für das Volk endet es nur zu oft ziemlich böse. Das kennt man ja aus fernen Ländern, aus dem Ostblock zum Beispiel, aus Afrika, aus Lateinamerika...
Dieser Diktator Macno nun ist ein ganz besonders seltsames Gewächs unter den seltsamen Gewächsen. Er ist nämlich ein guter Dikator. Ein guter Diktator??? Was ist denn das schon wieder? Gemeint ist hier nicht ein besonders diktatorischer Diktator, sondern ein lieber, ein netter Diktator mit vielen Idealen und der seltsamen Vorstellungen, daß es nicht nur ihm gutgehen soll, sondern allen anderen in seinem Land auch. So was soll's geben? Nee, gibt's nicht, ist ja ein Roman und daher mehr oder weniger erfunden. Nerven hat er ja, der Autor Andrea de Cario, sich einfach so einen guten Diktator auszudenken. Was soll da aus unserem Weltbild werden? Wie soll das enden?? Klar, wie das endet: böse wird es enden, wie sonst. Na also.
Wir lernen Macno in diesem Buch recht gut kennen. Er führt sich schon ganz toll ein: Zwei Journalisten aus New York, Liza und Ted, wollen ihn interviewen
und klettern ebenso kurz wie wild entschlossen über die Mauer in den Park seines Palastes. Für diese Dreistigkeit werden sie prompt von den Wachen drastisch zusammengefaltet, aber Macno, der zufällig des Wegs kommt, pfeift die eifrigen Jungs zurück und lädt die beiden in seinen Palast ein. Und ihr Interview sollen sie auch haben. Nett isser, der Macno, nich'?
Während Liza und Ted im Palast auf ihr Interview warten, Tag um Tag, Woche um Woche (es kommt halt immer was dazwischen), hören und schauen sie sich um und erfahren eine ganze Menge über Macno und seine Ideale, über das Land und über das Leben auch aul3erhalb ihres Elfenbeinturms. Vor allem aber lernen sie die anderen Gäste kennen. Von diesen Gästen gibt's eine ganze Reihe: Tänzer, Schriftsteller, Musiker, Maler und viele andere berühmte Künstler und Künstlerinnen haben sich zusammengefunden. Alle sind sie wie Liza und Ted einmal gekommen, weil sie grad' mal eben etwas wollten, und alle sind sie geblieben, Wochen und Monate, in der paradiesischen, weltfremdem Palastidylle. Und alle hängen sie an Macnos Lippen und lassen nichts unversucht, um in sein Blickfeld zu geraten. Macno ist schließlich nicht nur nett, er sieht auch noch atemberaubend gut aus, ist sehr jung, hat eine steile Karriere als Rocksänger und Fernsehmoderator hinter sich und besitzt außerdem eine magische Ausstrahlung, die alle in den Bann zieht. Natürlich - wir denken es uns bereits - auch Liza, und Liza hat Glück, denn sie gefällt Macno ebenfalls.
Eitel Freude und Sonnenschein also, oder? Liza betritt den Schauplatz des Geschehens, als Macnos Stern sich anschickt zu sinken. Nettigkeit und guter Willen reichen eben nicht aus, wenn unter der glänzenden Oberfläche auch nach vier Jahren noch Machtgier und Korruption brodeln. Wir erleben, wie sich die Stimmung der speichelleckenden Hofschranzen langsam ändert, wie sich die sogenannten "engsten Freunde" als die Wegbereiter für den Umsturz entpuppen und wie die Ratten das sinkende Schiff verlassen. Nette Leute haben's eben nicht leicht in dieser unserer schönen Welt.
Ein trotz des ernsten Themas leicht und spannend zu lesendes Buch hat Andrea de Carlo da geschrieben, in das man wirklich genauer reinschauen sollte. (Am Rande bemerkt: Was mich etwas geärgert hat, ist die Figur der Liza. Zwar wird fast die ganze Geschichte aus ihrer Sicht erzählt, aber sie ist kaum eine eigene Personlichkeit, sondern wird gewissermaßen nur als Mittel zum Zweck benutzt, damit bestimmte Eigenschaften und Gedanken von Macnos geschildert werden können. Man/frau muß beileibe nicht Feministin sein, um sich daran zu stören, wie sie willenlos in Macnos Kielwasser schwimmt und all seine Gedanken und Taten zu den ihren macht.) - Ihr Interview hat Liza übrigens nicht gekriegt. Aber das lag nicht an Macno. (pk)
Andrea de Carlo:
Macno
detebe, Diogenes Verlag
ca. 430 Seiten, 8,40 ECU*
detebe 22783
* Ecu: HFL/DM = ECU x2, BEF = ECU x 40, öS:
x15,6, sfr: x1,8