Bernhard Kegel:
Wenzels Pilz
(Heyne TB: Januar 1999, Original: CH, 1992/1997)
Nachdem wir im letzten Jahr bereits Bernhard Kegels zweiten Roman "Das Ölschieferskelett" als Tip vorgestellt haben, folgt hiermit endlich das erste Kegel-Buch: Wenzels Pilz. Das Ölschiefer-Skelett war für uns übrigens einer der besten Titel, die wir 1998 vorstellen konnten. Wenzels Pilz ist genau so gut, und damit ist er natürlich auch TIP-würdig. Die merkwürdige Reihenfolge liegt daran, daß bei Heyne zuerst das zweite und dann das erste Hardcover als Taschenbuch erschienen ist. (Und wir stellen vor allem preiswerten Lesestoff, also Taschenbuchausgaben vor, denn Lesen muß ja nicht unbedingt denen vorbehalten bleiben, die sich die schweinsledegebundene Preisklasse leisten können/wollen.)
Zunächst ein wenig zum Hintergrund der in diesem Buch erzählten Geschichte. Denn die ist wie beim Ölschieferskelett wieder aus Realität und Erfindung zusammengesetzt.Die Natur und das, was wir leichtfertig "unsere Welt" nennen (manche glauben, sie stünden über der Natur und nennen es "Umwelt") ist ein hochkompliziertes und verwobenes Netz. Trotzdem glauben einige Menschen zu wissen, daß es völlig ungefährlich ist, wenn sie hier und da ein wenig wegnehmen oder hinzufügen. Das ist ungefähr so, als würde ein Indianer aus dem Amazonas-Gebiet versuchen, ein amerikanisches Space-Shuttle zu "verbessern". Aber erst, wenn wirklich etwas übel schiefläuft werden wir wieder einmal erfahren (wenn wir es erfahren), wie wenig die wissenschaftlichen Zauberlehrlinge tatsächlich von dem wissen, in das sie eingreifen - und wie weit es sei überhaupt interessiert, was sie anrichten können - wie hoch also die vielgepriesene wissenschaftliche Moral und das Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Menschen und dem Rest der Natur tatsächlich ist. Und wer kontrolliert überhaupt, wie weit die Götter in Weiß gehen? Oder wird hier einfach nach der Methode gehandelt: Wir können es, also tun wir's einfach?
Einer dieser "tun-wir's-einfach-Forschungs-Bereiche" ist die Gentechnologie. Kaum einer weiß. wie weit in Labors und freier Natur heute bereits in das System dieser, unserer Welt eingegriffen wird. Angeblich sollen durch die Gentechnologie ja der Krebs und andere Krankheiten besiegt werden können. Und durch veränderte Pflanzen soll der Gebrauch von Insektiziden (Giften) in der Landwirtschaft drastisch reduziert werden. Das ist zumindest die Öffentlichkeitsarbeit der Genkonzerne und der ihnen "angeschlossenen" Politiker und Presseorgane. Die Realität sieht allerdings etwas anders aus:
"Zwischen North Canterbury und Southland auf der neuseeländischen Südinsel will der Gentechnologie-Riese Monsanto genmanipulierten Raps auf mehreren hundert Hektar Land anbauen. Falls das Projekt genehmigt wird, wäre dies die erste kommerzielle Freisetzung von genveränderten Pflanzen in dem ozeanischen Inselstaat. Der Genraps ist resistent
gegen das ebenfalls von Monsanto hergestellte Herbizid Roundup. Forschungen der Lund-Universität
in Schweden legen den Verdacht nahe, der Einsatz von Roundup trage zu einer Zunahme der Erkrankungen an einer speziellen Art von Lymphkrebs bei." (April 1999, Quelle: Greenpeace)
Die neuen Pflanzen sind also keinesfalls resistent gegen Schädlinge, sondern gegen die hochgiftigen "Schädlingsbekämpungsmittel", die Gifte, die heute schon hektoliterweise in die Natur versprüht werden. Es kann also, ohne die Pflanzen zu gefährden, mehr Gift benutzt werden - nicht weniger! Um den - angesichts des Umfangs der Gentechnik eher - kleinen Bereich der gentechnischen Pflanzenmanipulation geht es in diesem Buch.
Die Geschichte spielt in einer Zukunft nicht allzu weit von unseren Tagen entfernt. Eines Tages (genauer gesagt mitten in der Nacht) wird der ebenso scheue und unbeholfene wie geniale Schöpfer eines genmanipulierten Fliegen-Pilzes, - und der Nördlischen Stadtpalme! - Dr. Kurt Wenzel, zu einer Notsitzung ins Gentec-Chefbüro gerufen. Die Gentec ist einer der führenden Genmanipulations-Konzerne in dieser Zukunftswelt, in der Obst fast ausschließlich als formgepresste Gallertmasse aus dem Labor kommt, Erdbeerkuchen nie eine echte Erdbeere gesehen hat und Umweltschäden durch genmanipulierte Pflanzen und Tiere behoben werden sollen.
Dummerweise wissen die "Experten", die so im Erbgut der Welt herumpfuschen nicht allzuviel von den Zusammenhängen von dem, was man so leichtsinnigerweise dem Leben nennt. Und so gerät eine "Schöpfung" von Dr. Wenzel, die eigentlich dazu dienen sollte, denn versauerten Wald wieder zu beleben, sagen wir mal "etwas außer Kontrolle" und Wenzel erhält den Auftrag, das wieder hinzubiegen. Was auch zunächst gelungen zu sein scheint. Dummerweise ergeben sich durch die Reparaturmaßnahmen neue Probleme. Etwa in der Güteklasse, in der die Experten der Vergangenheit Ratten mit Katzen, Katzen mit Hunden ... bekämpften, nur diesmal mit gentechnisch manipuliertem "Material" ...
Dieses ebenso spannende wie informative Buch sollte jeder gelesen haben - ein TOP-TIP! (Besonders empfehlenswert für Gentechnik-Fanatiker wie Tony Blair und alle armen Kunden, die gar nicht wissen, wie weit die Gentechnik heute schon gehen darf!)Im Anhang finden sich wieder Hinweise, welche Teile der Geschichte auf Tatsachen beruhen beziehungsweise völlig frei erfunden (und dann von der Realität überholt) wurden. Daß eine Idee kaum bescheuert genug sein kann, um nicht von der lebens- bzw. menschenfeindlichen "schöpferischen Intelligenz" der Genforscher eingeholt zu werden, zeigt die folgende Meldung, mit der wir diesen Tip beschließen wollen:
"Welche Abhaengigkeiten die Bauern in aller Welt
zu fuerchten haetten, zeige die Entwicklung der
sogenannten Terminator-Technik. Eine Firma habe
im Maerz 1998 in den USA ein Verfahren zum Patent
angemeldet, das Saatgut nur ein einziges Mal keimen
laesst. Das Terminator-Gen zwinge Landwirte, jedes
Jahr neues Saatgut zu kaufen. An derartigem Reis,
Weizen, Hirse und Soja werde gearbeitet." (Ganze Meldung hier)
Guten Appetit!
tn
Bernhard Kegel:
Wenzels Pilz
Heyne Taschenbuch 01/1077
ca. 230 Seiten
12,50 ECU
ISBN 3-453-14725-1
* Ecu: HFL/DM = ECU x2, BEF = ECU x 40, öS:
x15,6, sfr: x1,8