Noch nie, heißt es, ging es uns so gut - doch noch nie haben wir uns so schlecht gefühlt. Die neoliberale Ideologie durchdringt unser Leben inzwischen bis in den letzten Winkel: Sie prägt unsere Selbstwahrnehmung, unsere Be- ziehung zu unserem Körper, unseren Partnern und Kindern – in anderen Worten, unsere Identität.
Offenbar hat die neue Freiheit und Selbstverantwortung eine dunkle Kehrseite. Ihre implizite Botschaft lautet: Jeder kann perfekt sein, jeder kann alles haben. Wer versagt, hat sich nicht genug angestrengt; wer scheitert, ist allein schuld.
Beschämung und Schuldgefühle sind die Folge, Wut, Ag- gression, diffuse Trauer und Selbstzweifel - oder gar Be- trug und Täuschung, wenn es gilt, die ausufernden Lei- stungs- kataloge der modernen Arbeitswelt zu erfüllen.
Keineswegs zufällig werden sie uns im Gewande objek- tiver, wissenschaftlich geprüfter Erfordernisse präsentiert, gegen die aufzubegehren zwecklos ist.
In einer furiosen Anklage zeigt der belgische Psychoana- lytiker Paul Verhaeghe, welche Auswirkungen das Selbst- verständnis einer Gesellschaft, die jeden Lebensbereich unter das Diktat der Ökonomie stellt, auf die Psyche der Menschen hat.
Paul Verhaeghe ist klinischer Psychologe und Psychoanalytiker und lehrt an der Universität Gent.
Aus dem Flämischen übersetzt von Birgit Erdmann und Angela Wic- harz-Lindner.
Deutsche Erstausgabe