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Peter Matthews:

Der Mord am See*

(Eine gar schröckliche Moritat)

 

Copyright 1980/2010 by Author. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Weiterverbreitung auch teilweise ohne schriftliche Genehmigung untersagt. Nachdruck und Weitergabe

 

Leise murmelnd plätscherte gemütlich ein winziges blaues Rinnsal durch die schmale grüne Ebene, welche unterhalb der sanft abfallenden Hügel von frischem Heu bedeckt war.

Folgte der aufmerksame Beobachter dem sanft daniedersäuselnden Laufe, so erlangte er den Anblick des kleinen aus Holz errichteten Hauses des Erftbauern, welcher jenes sonst in derartig wunderbarer Weise duftende Wiesengewächs mit seiner scharfen, halbmondartig geformten Sichel durch seine kraftvolle Hand in duftiges Heu verwandelt hatte. Der eigenartige Odem des gar frischen Heues hatte die Buben und Mädel des nicht weit entfernt gelegenen Dorfes herbeigelocket, deren bisweilen gar lautstarkes Jauchzen die laue Witterung dieses von der Sonne verwöhnten Tages zuweilen durchschallte.

Ein in dem herrlichsten Blau leuchtender Sommerhimmel überzog dieses Bild, und die gute Sonne war dem idyllischen Tale wie stets freundlichst gewogen und sandte ihre glühenden Sendboten aus, auf daß sie den herzlichen Bewohnern des Tales Wärme und Licht spendeten. Keine Wolke hinderte sie daran, ihr Werk zu vollführen. Nur ein seichtes Hauchen bewegte die Halme, welche auf den Hügeln zu sein pflegten, ein wenig hin und her. Die das Tal durchfleuchende, Atemzügen der Natur gleiche Woge der herrlichsten aller Lüfte war erfüllt vom Tirilieren der unzähligen gefiederten Freunde der sonnigen Herzen der fröhlichen Menschen, welche dieses idyllische Paradies auf Erden bevölkerten, welche sich ebenso wie ihre Freunde, die Menschen, in diesem kleinen Tempel der Natur gar wohlfühlten und ihn in keinem Falle missen wöllten.

Durch das sonst fast kniehohe, sich geschmeidig im Winde bewegende Gras schritten zwei Wanderer gar gemessenen Schrittes einem kleinen Hause entgegen, welches sich fürwahr gar hilfeheischend an die sanft abfallenden Hügel angelehnt hatte. Es lag am Ufer eines gar schmucken Sees, der das Prunkstück des gar idyllischen kleinen Tales darstellte, in dessen blauem Mantel sich die von der warmen Sommersonne ausgesandten Strahlen spiegelten und auf die weißen Bootswände der vielen kleinen Segelschiffe der Freizeitkapitäne, die darauf ihre Kreise zogen, schemenhafte Lichtgestalten zeichneten. Das Leuchten der ungezählten, unbeschwert bunten Segel ergänzte auf angenehme Weise das herrliche Blau des von imposanten Bergeshöhen eingeschlossenen, fast kreisrunden Gewässers, auf welchem die Ordnung durch ein kleines, jedoch für hiesige Verhältnisse imposantes zweihundertundzwanzig Pferdestärken umfassendes Wasserschutzpolizeiboot, dessen gar metallischer Korpus in einem für den Betrachter den Eindruck der Zugehörigkeit erweckenden, das Auge ansprechenden Blau gefärbt war, aufrecht erhalten wurde.

Während das Boot gemächlich seine Kreise zog und die sich im Winde bewegenden Segelboote wie ein Schäferhund seine Herde bewachend umkreiste, teilte sein elegant zusammenlaufender Bug das von leichten Windböen aufgerauhte herrliche Blau des Sees, welches sich verstört in schaumige weiße Wellen verwandelte, die sich vom Bug des Bootes nach beiden Seiten, die Formen desselben verfolgend, hinzogen.

So bot sich den beiden von Ehrfurcht erfüllten Wanderern ein wahrhaft märchenhaft idyllisches Bild einer malerischen Landschaft, deren Prunkstück der in dunklem Blau schimmernde See war. Obschon die zwei Mannsbilder dieses noch so unberührte Flecklein Erde bereits des öfteren hatten bewundern können, mußten sie ab der unglaublichen Atmosphäre des Tales, des Konzertes der Vögel, das von dem Zirpen der Grillen untermalet wurde, und der mannigfaltigen Eindrücke, welche auf sie hereinstürmeten, ihre Wanderung unterbrechen und sich in Völle dem ergeben, was auf sie einwirkte. Der von den bunten Segeln der scheinbar ungeordnet auf dem See umhergleitenden Segelboote erfüllte Gebirgssee breitete sich mit seiner gesamten, in samtenem Blau schimmernden Fläche vor ihren Augen aus, und die gelb am Himmel stehende Sonne gab mit ihren Strahlen Wärme und verhüUte die paradiesische Landschaft durch ein helles, jedoch nicht unangenehmes Licht.

Die beiden Wanderer waren gefangen durch das paradiesische Tal, welches sich ihnen darbot, erinnerten sich jedoch alsbald ihres Zieles, welches ihrer harrete; jenem kleinen Hause des Erftbauern schritten sie entgegen, dessen gute Aussicht den See in seiner gesamten Ausdehnung zu überblicken erlaubte.

Ihr guter Freund, der herzliche Erftbauer, schritt ihnen bereits entgegen und begrüßte sie auf die freundliche Art der Talbewohner. Wenig später betraten die drei Männer die gute Stube, deren Wände durch hölzerne Latten verdecket waren und deren größtes Fenster die dem See zugewandte fast vollständig ausfüllte. Die Männer schritten durch die einfache, jedoch gemütliche Wohnstube jenem Tische zu, der unter-halb des Fensters seinen Platz gefunden hatte.

Mit innigsten Gefühlen blickten sie auf jenes, was die Bühne der Natur ihnen darbot. Jener kleine Garten, ein Kleinod, unter stetiger Obhut und Pflege durch den Erftbauern wohl gediehen. Mittelpunkt des Gärtleins war ein famoser: aus den verschiedendlichsten Gewächsen, welche unsere Mutter Erde hervorgebiert, welche er durch wahrlich geschickte Anordnung in das Erscheinungsbild einer gar schmucken Sonnenblume gedränget hatte, erschien das Gärtlein in unübertrefflicher Schönheit.

Über diese hinweg schweifte der Blick der drei schweigenden Betrachter dem gegenüberliegenden Ufer zu. Hob man das Haupt eine Nuance, so kamen die bunten Segel der kleinen Segelboote in das Blickfeld. Ihre Zahl hatte sich bereits stark vermindert. Sah man ein wenig weiter hinaus, so erblickte man den mit Moospolstern bemäntelten grauen Fels des jenseitigen Ufers, in dem sich einige Möwen ihre Nester gebauet hatten. Über alledem zogen am blauen Himmel die ersten weißen Wolken auf, und neben der Sonne, welche sich am Firmament dem Untergange zubewegte, zeigten sich erste, bleiche Konturen der Mondescheibe.

Nunmehr waadte sich der Erftbauer um und meinte: "Wir müssen nun beginnen, sonst bekommen wir nicht einmal eines zu Ende. So wir nicht beginnen bald, Ihr vielleicht ins Wasser fallt! Haha-haha!"

Fröhlich und heiter, stets zu launigen Scherzen aufgelegt, so waren sie nun einmal, die Talbewohner des blauen Tales, welches von Mutter Natur dergestalt verwöhnet worden war.

Der Erftbauer begab sich zu einem seiner recht robusten Schränke, deren Türen durch farbenfrohe Malereien verzieret waren, deren Bedeutung wohl nur die Talbewohner erfaßten. Dem Schranke entnahm er, nachdem er ihn mit einem reichlich verzierten, handspannengroßen, vergoldeten, an einem ebenso vergüldeten Kettlein hangenden Schlüssel geöffnet hatte, eine alabasterne Truhe, eröffnete sie und – er zögerte einen Augenblick – entnahm ihr ein gepflegtes kleines Päcklein Spielkarten der deutschen Art, welche er aufs Teakholztischlein legte, welches unterhalb des Fensters seinen Platz innehatte.

Sodann er die Truhe ihrem vorherig innegehabten Orte, dem Schranke, wiedererstattete, forderte er sein lieben Gäste auf, sich herniederzulas-sen. „Nun wollen wir nicht singen, lasset uns beginnen! Hahahaha!“ Das war natürlich wieder einer jener spritzig – launigen Aussprüche des Talbewohners, der es eben nicht lassen konnte.

"Die Sonne geht zur Ruhe, wir schließen nun die Truhe. Hahahaha!" Die drei Menschenkinder im einfachen, aber gut eingerichteten Hause des Erftbauern erhoben sich und bereiteten sich vor, den wahrlich gastfreundlichen Hausherren zu verlassen. Die beiden lieben Besucher wurden an der Tür des Hauses mit allen guten Wünschen auf ihren Weg geschickt. Gemeinsam blickte man noch einmal auf das inzwischen ver-änderte idyllische Bild des Tales. Die Segelboote hatten derweil die dunkle Seenplatte geräumt, und allein das Wasserschutzpolizeiboot, auf welchem mit dem Aufziehen der Dunkelheit die Beleuchtungskörper entzündet worden waren und über dem sich die nunmehr fast vollkommene Scheibe des Mondes darbot, zog seine Kreise. Die Sonne war nunmehr vom Firmamente verschwunden, und nachdem sie die Wasseröberfläche blutrot gefärbt hatte, war sie hinter den nun schroff und zerfurcht aussehenden Felsen ihrer Ruhestätte entgegengesunken.

Die beiden Männer machten es sich daran, sich auf ihren Heimweg ins heimatliche Dorf zu begeben, und durchschritten die Grashäuser, welche die Dorfkinder am Nachmittage errichtet hatten, und standen schließlich auf der Höhe des Hügels und warfen nochmals, sehnsuchtsvoll, einen letzten Blick auf das dunkle Tal zurück, in dem sie den Abend verbrachten, und wandten sich rasch ab, um auf ihr eigenes Tal zu blicken, in welchem sich ihr Dorf mit der Spitze des Kirchturmes befand, auf welchem sie noch eindeutig, blinkend im Licht der Sterne, den vergoldeten Hahn ausmachen, ja klar erkennen konnten.

Das Dorf war kreisförmig angelegt und hatte vor kurzer Zeit eine gar unerfreuliche Vergrößerung, eine sehr unerfreuliche, erfahren. Ein Bauunternehmen hatte aus Ursachen, die den Bürgern noch unbekannt waren, mehrere Lastfuhrwerke und Baumaschinen in einem eigens für diesen Zweck errichteten Bauhof untergebracht. Dieser viereckige Kasten störte das idyllische Landschaftsbild. Gedrückter Stimmung gingen sie am Pfarrhause vorüber, wo in der Stube des Pfarrers Westmann noch Licht brannte. Waffelnessen war dessen größte Leidenschaft.

Weiter führte sie ihr Weg, vorbei an einer neu errichteten Wohnhaus-siedlung, in dem die aus dem Tal vertriebenen Siedler nunmehr ihre fürdere Heimstätte innehatten. Die fünfstöckigen, strahlend grauen Be-tonklötze waren die neue Heimat der fröhlichen Dorfbewohner, die von der vorrückenden Technik aus dem letzten Paradies vertrieben und „umgesiedelt“ worden waren.

Weiter führte die beiden nächtlichen Wanderer ihr Weg an der großen Waffelfabrik Westmann vorüber, deren Inhaber der Bruder des Pfarrers war und diesen stets mit Waffeln versorgte.

Endlich gelangten die beiden Manner, über deren Köpfen jetzt der gelblich schimmernde Kreis am Himmel stand (umgeben war die herab-strahlende Scheibe des Mondes von unzähligen Lichtpunkten, ungezählten Sternen), zu zwei nicht besonders großen Häusern am Rande des Dorfes, deren Wände in grüner Farbe gestrichen waren. Sie verabschiedeten sich voneinander und begaben sich in ihre Wohnungen, um sich dem hinzugeben, was sich die Programmplaner der Fernsehanstalten wieder einmal erdacht hatten, um sich sodann zur wohlverdienten Ruhe zu begeben.

Die letzten Lichter erloschen. Ein dunkler Mantel legte sich mit Finsternis und Stille über das Land.

Langsam verblaßte die bleiche Sichel des Mondes. Im Hof des Bauunternehmens begannen – laut und störend – starke Motoren zu brummen, und eine Karawane von Baufahrzeugen ergoß sich in das vormals so stille Tal, in dem gerade die Vögel und Grillen von ihrem Schlafe erwachten und zu ihrem Morgengesange anstimmen wollten. Durch die Karawane aufs äußerste verstört zogen sie sich ängstlich in ihre Verstecke zurück. Der erste Wagen hatte den grünen – besser ist es jetzt zu sagen "ehemals so grünen" – Hügel erreicht, und sein Gewicht ließ seine Reifen häßliche braune Streifen ins vordem so herrliche Grün des Hügels schneiden.

Schon standen, wenn man genau hinblickte, rote Pflöcke, verteilt über das ganze Tal, im Boden versenkt. Auf einem markierten Platz in der Mitte des Tales hielten die Fahrzeuge an, und eine Planierraupe rollte, langsam aber laut, von dem Gefährt, auf dem sie bisher geschlummert hatte.

Sie begann den grünen Teppich, der bisher das Tal ausgekleidet und geschützt hatte, mit ihrem breiten eisernen Arm aufzureißen, und dabei schnitt sie tiefe, häßliche, braune Streifen in die Natur, die von Vögeln und Grillen fluchtartig verlassen worden war. Ein großer, schwerer, blauer Schaufelbagger kam über den braun – grünen Hügel gerollt, fuhr zum See und begann dort das grüne Vlies des Rasens zu zerstören. Noch lange würde das Rattern, Brummen und Poltern der Maschinen von den Talwänden widerhallen, bis man endlich alles einbetoniert haben würde und die zwölfstöckigen Bürohäuser mit Blick auf den See fertiggestellt sein würden.

Das Lärmen der Maschinen kündete weiterhin, daß bald wieder ein Paradies weniger auf Erden existierte und auch der See bald seinem Schicksal, der Verschmutzung und letztendlich dem biologischen Tod, erliegen würde.

Und viel, viel später würde man erschrecken und beginnen, darüber nachzudenken, wie man diesen See retten und zu einer friedlichen Landschaft gestalten könnte. Man wird die mittlerweile unmodernen, abgerissenen Wohnhäuser und das Kernkraftwerk (Typ Fixer Untergang) verbannen, das Tal für jegliche Besiedlung sperren und als Freizeit – Schutzgebiet erschließen.

Doch bis dahin ist es noch weit ...

E N D E



* Ziemlich frei nach: Conrad Ferdinand Meyer, Der SchuB von der Kanzel.

 


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