Bücherbar-Storybar
(Eine gar schröckliche Moritat)
Copyright 1980/2010 by Author. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Weiterverbreitung auch teilweise ohne schriftliche Genehmigung untersagt. Nachdruck und Weitergabe
Leise murmelnd plätscherte gemütlich ein winziges blaues Rinnsal durch die schmale grüne Ebene, welche unterhalb der sanft abfallenden Hügel von frischem Heu bedeckt war.
Folgte der aufmerksame Beobachter dem sanft daniedersäuselnden Laufe, so
erlangte er den Anblick des kleinen aus Holz errichteten Hauses des
Erftbauern, welcher jenes sonst in derartig wunderbarer Weise duftende
Wiesengewächs mit seiner scharfen, halbmondartig geformten Sichel durch
seine kraftvolle Hand in duftiges Heu verwandelt hatte. Der eigenartige Odem
des gar frischen Heues hatte die Buben und Mädel des nicht weit entfernt
gelegenen Dorfes herbeigelocket, deren bisweilen gar lautstarkes Jauchzen
die laue Witterung dieses von der Sonne verwöhnten Tages zuweilen
durchschallte.
Ein in dem herrlichsten Blau leuchtender Sommerhimmel überzog dieses Bild,
und die gute Sonne war dem idyllischen Tale wie stets freundlichst gewogen
und sandte ihre glühenden Sendboten aus, auf daß sie den herzlichen
Bewohnern des Tales Wärme und Licht spendeten. Keine Wolke hinderte sie
daran, ihr Werk zu vollführen. Nur ein seichtes Hauchen bewegte die Halme,
welche auf den Hügeln zu sein pflegten, ein wenig hin und her.
Die das Tal durchfleuchende, Atemzügen der Natur gleiche Woge der
herrlichsten aller Lüfte war erfüllt vom Tirilieren der unzähligen
gefiederten Freunde der sonnigen Herzen der fröhlichen Menschen, welche
dieses idyllische Paradies auf Erden bevölkerten, welche sich ebenso wie
ihre Freunde, die Menschen, in diesem kleinen Tempel der Natur gar
wohlfühlten und ihn in keinem Falle missen wöllten.
Durch das sonst fast kniehohe, sich geschmeidig im Winde bewegende Gras
schritten zwei Wanderer gar gemessenen Schrittes einem kleinen Hause
entgegen, welches sich fürwahr gar hilfeheischend an die sanft abfallenden
Hügel angelehnt hatte. Es lag am Ufer eines gar schmucken Sees, der das
Prunkstück des gar idyllischen kleinen Tales darstellte, in dessen blauem
Mantel sich die von der warmen Sommersonne ausgesandten Strahlen spiegelten
und auf die weißen Bootswände der vielen kleinen Segelschiffe der
Freizeitkapitäne, die darauf ihre Kreise zogen, schemenhafte Lichtgestalten
zeichneten. Das Leuchten der ungezählten, unbeschwert bunten Segel ergänzte
auf angenehme Weise das herrliche Blau des von imposanten Bergeshöhen
eingeschlossenen, fast kreisrunden Gewässers, auf welchem die Ordnung durch
ein kleines, jedoch für hiesige Verhältnisse imposantes
zweihundertundzwanzig Pferdestärken umfassendes Wasserschutzpolizeiboot,
dessen gar metallischer Korpus in einem für den Betrachter den Eindruck der
Zugehörigkeit erweckenden, das Auge ansprechenden Blau gefärbt war,
aufrecht erhalten wurde.
Während das Boot gemächlich seine Kreise zog und die sich im Winde
bewegenden Segelboote wie ein Schäferhund seine Herde bewachend umkreiste,
teilte sein elegant zusammenlaufender Bug das von leichten Windböen
aufgerauhte herrliche Blau des Sees, welches sich verstört in schaumige
weiße Wellen verwandelte, die sich vom Bug des Bootes nach beiden Seiten,
die Formen desselben verfolgend, hinzogen.
So bot sich den beiden von Ehrfurcht erfüllten Wanderern ein wahrhaft
märchenhaft idyllisches Bild einer malerischen Landschaft, deren Prunkstück
der in dunklem Blau schimmernde See war. Obschon die zwei Mannsbilder dieses
noch so unberührte Flecklein Erde bereits des öfteren hatten bewundern
können, mußten sie ab der unglaublichen Atmosphäre des Tales, des Konzertes
der Vögel, das von dem Zirpen der Grillen untermalet wurde, und der
mannigfaltigen Eindrücke, welche auf sie hereinstürmeten, ihre Wanderung
unterbrechen und sich in Völle dem ergeben, was auf sie einwirkte.
Der von den bunten Segeln der scheinbar ungeordnet auf dem See
umhergleitenden Segelboote erfüllte Gebirgssee breitete sich mit seiner
gesamten, in samtenem Blau schimmernden Fläche vor ihren Augen aus, und die
gelb am Himmel stehende Sonne gab mit ihren Strahlen Wärme und verhüUte die
paradiesische Landschaft durch ein helles, jedoch nicht unangenehmes Licht.
Die beiden Wanderer waren gefangen durch das paradiesische Tal, welches sich
ihnen darbot, erinnerten sich jedoch alsbald ihres Zieles, welches ihrer
harrete; jenem kleinen Hause des Erftbauern schritten sie entgegen, dessen
gute Aussicht den See in seiner gesamten Ausdehnung zu überblicken erlaubte.
Ihr guter Freund, der herzliche Erftbauer, schritt ihnen bereits entgegen
und begrüßte sie auf die freundliche Art der Talbewohner. Wenig später
betraten die drei Männer die gute Stube, deren Wände durch hölzerne Latten
verdecket waren und deren größtes Fenster die dem See zugewandte fast
vollständig ausfüllte. Die Männer schritten durch die einfache, jedoch
gemütliche Wohnstube jenem Tische zu, der unter-halb des Fensters seinen
Platz gefunden hatte.
Mit innigsten Gefühlen blickten sie auf jenes, was die Bühne der Natur ihnen
darbot. Jener kleine Garten, ein Kleinod, unter stetiger Obhut und Pflege
durch den Erftbauern wohl gediehen. Mittelpunkt des Gärtleins war ein
famoser: aus den verschiedendlichsten Gewächsen, welche unsere Mutter Erde
hervorgebiert, welche er durch wahrlich geschickte Anordnung in das
Erscheinungsbild einer gar schmucken Sonnenblume gedränget hatte, erschien
das Gärtlein in unübertrefflicher Schönheit.
Über diese hinweg schweifte der Blick der drei schweigenden Betrachter dem
gegenüberliegenden Ufer zu. Hob man das Haupt eine Nuance, so kamen die
bunten Segel der kleinen Segelboote in das Blickfeld. Ihre Zahl hatte sich
bereits stark vermindert. Sah man ein wenig weiter hinaus, so erblickte man
den mit Moospolstern bemäntelten grauen Fels des jenseitigen Ufers, in dem
sich einige Möwen ihre Nester gebauet hatten.
Über alledem zogen am blauen Himmel die ersten weißen Wolken auf, und neben
der Sonne, welche sich am Firmament dem Untergange zubewegte, zeigten sich
erste, bleiche Konturen der Mondescheibe.
Nunmehr waadte sich der Erftbauer um und meinte:
"Wir müssen nun beginnen, sonst bekommen wir nicht einmal eines zu Ende. So
wir nicht beginnen bald, Ihr vielleicht ins Wasser fallt! Haha-haha!"
Fröhlich und heiter, stets zu launigen Scherzen aufgelegt, so waren sie nun
einmal, die Talbewohner des blauen Tales, welches von Mutter Natur
dergestalt verwöhnet worden war.
Der Erftbauer begab sich zu einem seiner recht robusten Schränke, deren
Türen durch farbenfrohe Malereien verzieret waren, deren Bedeutung wohl nur
die Talbewohner erfaßten. Dem Schranke entnahm er, nachdem er ihn mit einem
reichlich verzierten, handspannengroßen, vergoldeten, an einem ebenso
vergüldeten Kettlein hangenden Schlüssel geöffnet hatte, eine alabasterne
Truhe, eröffnete sie und – er zögerte einen Augenblick – entnahm ihr ein
gepflegtes kleines Päcklein Spielkarten der deutschen Art, welche er aufs
Teakholztischlein legte, welches unterhalb des Fensters seinen Platz
innehatte.
Sodann er die Truhe ihrem vorherig innegehabten Orte, dem Schranke,
wiedererstattete, forderte er sein lieben Gäste auf, sich herniederzulas-sen.
„Nun wollen wir nicht singen, lasset uns beginnen! Hahahaha!“
Das war natürlich wieder einer jener spritzig – launigen Aussprüche des
Talbewohners, der es eben nicht lassen konnte.
"Die Sonne geht zur Ruhe, wir schließen nun die Truhe. Hahahaha!"
Die drei Menschenkinder im einfachen, aber gut eingerichteten Hause des
Erftbauern erhoben sich und bereiteten sich vor, den wahrlich
gastfreundlichen Hausherren zu verlassen. Die beiden lieben Besucher wurden
an der Tür des Hauses mit allen guten Wünschen auf ihren Weg geschickt.
Gemeinsam blickte man noch einmal auf das inzwischen ver-änderte idyllische
Bild des Tales. Die Segelboote hatten derweil die dunkle Seenplatte geräumt,
und allein das Wasserschutzpolizeiboot, auf welchem mit dem Aufziehen der
Dunkelheit die Beleuchtungskörper entzündet worden waren und über dem sich
die nunmehr fast vollkommene Scheibe des Mondes darbot, zog seine Kreise.
Die Sonne war nunmehr vom Firmamente verschwunden, und nachdem sie die
Wasseröberfläche blutrot gefärbt hatte, war sie hinter den nun schroff und
zerfurcht aussehenden Felsen ihrer Ruhestätte entgegengesunken.
Die beiden Männer machten es sich daran, sich auf ihren Heimweg ins
heimatliche Dorf zu begeben, und durchschritten die Grashäuser, welche die
Dorfkinder am Nachmittage errichtet hatten, und standen schließlich auf der
Höhe des Hügels und warfen nochmals, sehnsuchtsvoll, einen letzten Blick
auf das dunkle Tal zurück, in dem sie den Abend verbrachten, und wandten
sich rasch ab, um auf ihr eigenes Tal zu blicken, in welchem sich ihr Dorf
mit der Spitze des Kirchturmes befand, auf welchem sie noch eindeutig,
blinkend im Licht der Sterne, den vergoldeten Hahn ausmachen, ja klar
erkennen konnten.
Das Dorf war kreisförmig angelegt und hatte vor kurzer Zeit eine gar
unerfreuliche Vergrößerung, eine sehr unerfreuliche, erfahren. Ein
Bauunternehmen hatte aus Ursachen, die den Bürgern noch unbekannt waren,
mehrere Lastfuhrwerke und Baumaschinen in einem eigens für diesen Zweck
errichteten Bauhof untergebracht. Dieser viereckige Kasten störte das
idyllische Landschaftsbild. Gedrückter Stimmung gingen sie am Pfarrhause
vorüber, wo in der Stube des Pfarrers Westmann noch Licht brannte.
Waffelnessen war dessen größte Leidenschaft.
Weiter führte sie ihr Weg, vorbei an einer neu errichteten
Wohnhaus-siedlung, in dem die aus dem Tal vertriebenen Siedler nunmehr ihre
fürdere Heimstätte innehatten. Die fünfstöckigen, strahlend grauen
Be-tonklötze waren die neue Heimat der fröhlichen Dorfbewohner, die von der
vorrückenden Technik aus dem letzten Paradies vertrieben und „umgesiedelt“
worden waren.
Weiter führte die beiden nächtlichen Wanderer ihr Weg an der großen
Waffelfabrik Westmann vorüber, deren Inhaber der Bruder des Pfarrers war und
diesen stets mit Waffeln versorgte.
Endlich gelangten die beiden Manner, über deren Köpfen jetzt der gelblich
schimmernde Kreis am Himmel stand (umgeben war die herab-strahlende Scheibe
des Mondes von unzähligen Lichtpunkten, ungezählten Sternen), zu zwei nicht
besonders großen Häusern am Rande des Dorfes, deren Wände in grüner Farbe
gestrichen waren. Sie verabschiedeten sich voneinander und begaben sich in
ihre Wohnungen, um sich dem hinzugeben, was sich die Programmplaner der
Fernsehanstalten wieder einmal erdacht hatten, um sich sodann zur
wohlverdienten Ruhe zu begeben.
Die letzten Lichter erloschen. Ein dunkler Mantel legte sich mit Finsternis
und Stille über das Land.
Langsam verblaßte die bleiche Sichel des Mondes. Im Hof des Bauunternehmens
begannen – laut und störend – starke Motoren zu brummen, und eine Karawane
von Baufahrzeugen ergoß sich in das vormals so stille Tal, in dem gerade die
Vögel und Grillen von ihrem Schlafe erwachten und zu ihrem Morgengesange
anstimmen wollten. Durch die Karawane aufs äußerste verstört zogen sie sich
ängstlich in ihre Verstecke zurück. Der erste Wagen hatte den grünen –
besser ist es jetzt zu sagen "ehemals so grünen" – Hügel erreicht, und sein
Gewicht ließ seine Reifen häßliche braune Streifen ins vordem so herrliche
Grün des Hügels schneiden.
Schon standen, wenn man genau hinblickte, rote Pflöcke, verteilt über das
ganze Tal, im Boden versenkt. Auf einem markierten Platz in der Mitte des
Tales hielten die Fahrzeuge an, und eine Planierraupe rollte, langsam aber
laut, von dem Gefährt, auf dem sie bisher geschlummert hatte.
Sie begann den grünen Teppich, der bisher das Tal ausgekleidet und geschützt
hatte, mit ihrem breiten eisernen Arm aufzureißen, und dabei schnitt sie
tiefe, häßliche, braune Streifen in die Natur, die von Vögeln und Grillen
fluchtartig verlassen worden war. Ein großer, schwerer, blauer
Schaufelbagger kam über den braun – grünen Hügel gerollt, fuhr zum See und
begann dort das grüne Vlies des Rasens zu zerstören. Noch lange würde das
Rattern, Brummen und Poltern der Maschinen von den Talwänden widerhallen,
bis man endlich alles einbetoniert haben würde und die zwölfstöckigen
Bürohäuser mit Blick auf den See fertiggestellt sein würden.
Das Lärmen der Maschinen kündete weiterhin, daß bald wieder ein Paradies
weniger auf Erden existierte und auch der See bald seinem Schicksal, der
Verschmutzung und letztendlich dem biologischen Tod, erliegen würde.
Und viel, viel später würde man erschrecken und beginnen, darüber
nachzudenken, wie man diesen See retten und zu einer friedlichen Landschaft
gestalten könnte. Man wird die mittlerweile unmodernen, abgerissenen
Wohnhäuser und das Kernkraftwerk (Typ Fixer Untergang) verbannen, das Tal
für jegliche Besiedlung sperren und als Freizeit – Schutzgebiet
erschließen.
Doch bis dahin ist es noch weit ...
E N D E
* Ziemlich frei nach: Conrad Ferdinand Meyer, Der SchuB von der Kanzel.
Weitere Geschichten gefällig? Hier gibt es mehr
Copyright und Weitergabe
Dieser Text ist nur zum privaten Lesevergnügen freigegeben - jegliche
Weitergabe, Vervielfältigung oder jedwede kommerzielle Nutzung sind
nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch timtext/Autor erlaubt.
(E-mail an: timtext@timtext.tk) Copyright 1989-2010 by Author &
timtext & INFO. |